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Rede von Pfarrer Österling
Liebe Familie Heber - Gerstner, liebe Trauergemeinde!
Noch immer sitzt uns der Schrecken in den Knochen, lähmt
uns und lässt uns die ganze furchtbare und quälende
Ohnmacht gegenüber dem Geschehenen spüren.
5 Tage ist es nun her, dass zwischen Lingenfeld und Germersheim
durch einen tragischen Unfall dieses junge Leben ausgelöscht
wurde.
Nein, wir begreifen es nicht, wir begreifen nicht, dass Elron
Tibor Gerstner, dieser so lebensfrohe aufgeschlossene junge
Mann einfach nicht mehr unter uns sein soll. Dieser Mensch,
der so vielen mit seinem Wesen Freude gemacht hat.
Dieser plötzliche, unvermittelte Einbruch des Todes
in unser Leben erzeugt einfach nur Fassungslosigkeit. Und manch
einem geht vielleicht der jetzt in all seiner Bitterkeit erlebte
Satz aus dem alten Testament durch den Kopf, wo es heißt:
"Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben".
Nein, keiner ist gefeit - und auch nur wenige Jahre gelebten
Lebens ist keine Garantie für ein noch lange währendes
Leben.
Und das tut weh - es tut weh, das erneut erkennen zu müssen
an diesem so frühen Sterben von Elron. Und ganz automatisch
brechen wahrscheinlich in vielen von uns diese schon unzählbar
oft gestellten Fragen nach dem Warum auf, Fragen, auf die es
schon früher keine Antwort gab, Fragen, auf die wir wohl
auch jetzt keine befriedigende Antwort geben können. Warum
musste Elron so früh sterben? Warum hat Gott ihn nicht
bewahrt in dieser Stunde, dieser Minute, dieser Sekunde, warum
hat er es diesmal nicht getan, wo er doch schon so häufig
zuvor in seinem Leben und in unser aller Leben getan hat?
Nein, wir haben keine Antwort - ich hab auch keine. Denn die
scheinbar einfache Antwort, er hätte vielleicht mehr aufpassen
müsse, ist in diesem Fall auch keine befriedigende Antwort.
Und so bleiben wir allein mit unseren Fragen, unserm Schmerz,
mit all der Dunkelheit, die jetzt in uns ist.
Liebe Familie Heber - Gerstner, liebe Verwandte und Freunde
von Elron, als ich mir überlegt, was ich heute in der Traueransprache
eigentlich sagen soll - denn was soll man sagen, was wirklichen
Trost schenken und neue Perspektive für die Zukunft öffnen
kann - als ich so nachdachte, fiel mir ein, mal nach seinem
Konfirmationsspruch zu sehen. Und so fand ich im Kirchenbuch
seinen Vers aus Römer 8; und ob es nun Zufall ist oder
von Gott her so gedacht: aber gerade dieser Vers bring6t es
heute am Tage seiner Beerdigung auf den Punkt, weshalb ich jetzt
predige, weshalb wir trotz des Geschehenen von einer Zukunft
für sie, die Familie und seine Freunde reden kann.
Es heißt dort in diesem Vers, den Elron sich ausgesucht
hat:
"Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, dass weder
Engel noch andere Mächte, dass weder Gegenwärtiges
noch Zukünftiges, dass weder etwas im Himmel noch in der
Hölle noch irgendeine andere Kreatur uns trennen kann von
der Liebe Gottes, die in Christus Jesus offenbar geworden ist."
Liebe Trauergemeinde, viele fragen sich manch einer jetzt: Wie
kann sich Paulus, denn von ihm stammen diese Worte, wie kann
sich Paulus seiner Sache so sicher sein? Wissen
wir doch aus seiner Lebensgeschichte, dass er selbst häufig
genug in Situationen war, in denen er das schreckliche Gefühl
der eigenen Ohnmacht erleben musste; wie oft musste er selbst
die bittere Erfahrung machen, wie es ist, Menschen oder Situationen
ausgeliefert zu sein, nichts dagegen machen zu können,
es einfach über sich ergehen lassen zu müssen.
Wenn Paulus also von Gewalten redet, die das Unheil heraufbeschwören
und uns treffen wie tödliche Kugel, die den Lauf bereits
verlassen hat und nicht mehr aufzuhalten ist, wenn er von Todesmächten
redet, die uns aus unserem Alltag herausreißen, dann weiss
er wovon er redet. - und trotzdem, sein Vorzeichen heißt
nicht Angst, sondern Gewissheit und Vertrauen: "Ich bin
gewiss, dass Gottes Liebe kein Ende hat."
Zugegeben, liebe Trauergemeinde, das sind Worte eines Menschen,
der eigentlich schon am Ziel angekommen ist. Worte der Rückschau,
Worte der Erfahrung. Wir jedoch, wir stehen noch am Anfang dieses
schweren Weges. Denn angesichts der Katastrophe um den plötzlichen
Tod von Elron ist manch einem von uns vielleicht die Gewissheit
der Liebe Gottes verloren gegangen.
Vielleicht wäre es anders, wenn Gott uns das Rätsel
dieses frühen Sterbens beantworten würde; wenn wir
eine schlüssige Antwort bekämen, dann wäre für
uns vielleicht diese Gewissheit, von der Paulus redet, leichter
zu erlangen.
Aber das ist nicht der Fall. Einmal mehr müssen wir feststellen:
Gott ist anders, als wir ihn uns oft wünschen; so unbegreiflich
er uns dadurch auch wird, wenn wir erkennen, dass seine Wege
oft anders sind, die wir uns wünschen. Und so bleibt bei
manch einem das Gefühl, alleingelassen zu sein von Gott
und der Welt.
Allerdings, liebe Trauergemeinde, ganz ohne Antwort ist
Gott nicht geblieben. Nur dass seine Antwort anders ist, als
die, die wir vielleicht erwarten. Denn oft wünschen wir
uns Gottes Liebe als Garantieerklärung, dass uns kein Leid,
keine Trauer, kein Tod trifft. Nur, diese Garantieerklärung
gibt Gott uns nicht. Er gab sie noch nicht einmal seinem eigenen
Sohn - diesem Jesus aus Nazareth, in dem wir jedoch sehr gut
erkennen können, wie Gottes Liebe zu den Menschen wirklich
ist.
Gott ist kein Tyrann, der seine Allmacht willkürlich ausspielt.
Umgegehrt ist er aber kein Wunscherfüllungsautomat, der
uns ständig zu Diensten ist wie es uns gerade gefällt.
Was er jedoch tut ist sich mit uns zu solidarisieren; das heißt
er hält in seiner Liebe zu uns das aus, was wir selbst
aushalten müssen. Gerade dann, wenn wir uns von Gott und
der Welt verlassen meinen, gerade dann ist er uns besonders
nahe. Gerade dann, wenn wir meinen, schreien zu müssen,
gerade dann will er unser Freundsein, bei dem wir uns ausweinen
können und Trost finde. Gerade dann wenn uns das Gefühl
der Ohnmacht zu überwältigen droht, gerade dann ist
er nahe, um uns zu versichern, dass nicht alles sinnlos ist.
Dass er für uns eine Zukunft bereit hält, wenn wir
uns ihm anvertrauen.
Schließlich hat er der Auferstehung seines Sohnes er ein
für allemal klar gemacht: Von Gott her wird der Tod nicht
das letzte Wort behalten. Gott wird neues Leben schaffen, weil
er nicht ein Gott des Todes ist sondern der Gott des Lebens.
Eines erfüllte sinntaften Lebens hier in dieser Welt Gottes.
Liebe Angehörige, liebe Verwandten und Freunde von
Elron, ich wünsche Ihnen, dass sie auf dem langen Weg,
der nun vor Ihnen liegt, dieser Gewissheit der unbedingten Liebe
Gottes zu uns Menschen immer näher kommen.
Es wird ein Weg sein, der womöglich manchen Rückschlag
erlebt, ein Weg, der vielleicht sehr steinig und schmerzhaft
sein wird. Aber sie werden nicht alleine sein auf diesem Weg.
Gott wird mit ihnen sein - dessen dürfen sie sich sicher
sein.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch die Erfahrung machen können,
die in dieser wunderschönen Erzählung zum Ausdruck
kommt, mit der ich schließen möchte.
"Eines Tages ging der Mensch mit Gott am Strand spaziere.
Irgendwann machte er eine Pause und schaute zurück, auf
den Weg, den er gegangen ist. Und entdeckte, dass an bestimmten
Punkten seines Lebens nur eine Fußspur zu finden war,
an anderen Punkten zwei Fußspuren. Uns voller Verwunderung
fragte er Gott: " Mein Vater, ich stelle fest, an den Punkten
meines Lebens, wo es mir schlecht ging, wo mich harte Schläge
trafen, wo ich eigentlich selbst nicht mehr weiterwusste und
verzweifelt war, da finde ich nur eine Fußspur. Mein Vater,
warum hast du mich da alleine gelassen, wo ich dich so nötig
brauchte und mich nach deiner Nähe sehnte?"
Und Gott antwortete: Mein liebes Kind, du warst nicht alleine.
Ich war da, ich war ganz nahe bei dir, denn da, wo du nur eine
Fußspur siehst, da habe ich dich getragen."
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere
menschliche Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Nach will das alte unsere Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch,
den bittern des Leids,
gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn
dankbar ohne zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken,
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und helle die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich der Stille nun tief um uns breitet
So lass uns hören jenen vollen Klang, der Welt,
die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
Und gewiss an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhöfer 1944
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