Eines schönen
Tages setzte sich der kleine Prinz an den Rand eines teils wildrauschenden,
teils vor sich hin plätschernden Baches und lauschte dem
Murmeln des Wassers, wie es so über den felsigen Grund
dahinglitt. Das Wasser war kristallklar und die Sonne warf scharfe
Schatten auf die rund geschliffenen Kieselsteine im Bett des
Baches. Über diese huschte mit einem mal ein goldgelber
Schatten und verschwand ebenso plötzlich wie er erschienen
war.
Der kleine Prinz rieb sich verwundert
die Augen und spähte nocheinmal tief ins Wasser hinein.
Wieder huschte ein goldgelber Schatten über die Kiesel
am Grund und verschwand erneut. Der kleine Prinz entledigte
sich seiner Schuhe, holte seinen Kescher, stellte sich auf das
sandige Ufer und tauchte sein Netz tief in eine der aufbrausenden
Stellen des Bachs und wartete.
Etwas rüttelte in seiner Hand
und der kleine Prinz zog behende den Kescher aus dem Wasser,
worin ein kleiner Goldfisch aufgeregt hin und her zappelte.
"Hei du kleiner Goldfisch, du
bist so wunderschön!'' rief der kleine Prinz aus, als er
den Fisch aus dem Kescher nahm.
"Iiiiiiihh!'' quietschte der
kleine Goldfisch. "Komm' mir nicht zu nah', du tust mir
weh!''
Der kleine Prinz aber war so glücklich
über seinen Fang, das er den Goldfisch mit beiden Händen
ergriff und ihn hoch in die Luft warf um ihn wieder aufzufangen.
"Iiiiiiihh!'' quietschte der
Goldfisch erneut. "Hörst du wohl auf damit! Ich hasse
es wenn Menschen mir zu nahe kommen!''
"Oh, nein!'' sagte der kleine
Prinz, "ich will dir nicht weh tun! Ich werde dir ein wunderschönes
Aquarium schenken und es dir an nichts fehlen lassen!''
Er hielt den kleinen Fisch auf beiden
Händen vor sein Gesicht und schaute ihm in die wunderschönen
braunen Augen. Dann versuchte er den Goldfisch zu küssen.
Doch der drehte seinen Kopf im letzten Moment zur Seite, so
daß der kleine Prinz nur die Stelle hinter den Kiemen
traf, an der sich bei einer Prinzessin die Ohren mit dem Geschmeide
befunden hätte.
"Iiiiiiihh!'' quietschte der
Goldfisch und wand sich verzweifelt. "Laß mich endlich
los, du dummer kleiner Junge! Siehst du nicht das wir nicht
füreinander bestimmt sind? Ich will frei sein. In deinem
Aquarium würde ich elendig sterben. Ich will nichts von
dir geschenkt haben. Bitte, bitte, bitte laß mich endlich
in Ruh'...''
Der kleine Prinz erschrak zutiefst
und warf den Fisch wieder zurück in sein Element. Der Goldfisch
aber sprang fröhlich aus dem Wasser in die Luft und rief
artig:
"Dank dir, kleiner Prinz! Dank
dir! Und mach's gut!''
Dann tauchte er zurück ins Wasser
und verschwand.
Der kleine Prinz aber zerbrach seinen
Kescher und beschloß nie wieder einen Fisch zu fangen.
Dann setzte er sich ins Gras um zu Grübeln. Der Klee im
Gras neben ihm roch süß und leicht. Sein Herz aber
war schwer und Salzwasser rann aus seinen Augenwinkeln.
"Warum weinst du?'' fragte ein
Skorpion, der plötzlich auf dem Ufersand herumkrabbelte.
"Was ist Weinen?'' fragte der
kleine Prinz.
"Das Salzwasser in deinen Augen
nennt man Tränen,'' sagte der Skorpion. "Und wenn
die Menschen nicht mehr weiter wissen, fangen sie an zu weinen.
Das ist ein Zeichen ihrer Schwäche.''
"Wie kann ich schwach sein, wenn
ich nicht einmal weiß, was Tränen sind?'' fragte
der kleine Prinz erstaunt.
"Du mußt offenbar noch
viel lernen,'' sagte der Skorpion ungeduldig. "Aber ich
will dir eine Geschichte erzählen, vielleicht verstehst
du dann, warum du den kleinen Goldfisch freigeben mußtest,
also...''
"Ein Skorpion und ein Frosch
trafen sich am Rand eines Flusses, und der Skorpion fragte den
Frosch, ob er ihn wohl hinübertragen würde, da Frösche
doch schwimmen könnten, Skorpione aber nicht. "Nein,''
sagt darauf der Frosch, "du wirst mich stechen, bevor wir
den Fluß überquert haben.''
"Aber das macht doch keinen Sinn,''
argumentiert der Skorpion, "wenn ich dich steche bist du
tot und ich ertrinke.'' Das leuchtete dem Frosch ein und so
nahm er den Skorpion auf seinen Rücken und sprang ins Wasser.
Etwa in der Mitte des Flusses, stach der Skorpion zu. Mit letzter
Kraft fragt ihn der Frosch, warum er das denn nun doch getan
hätte. "Ich bin eben ein Skorpion'', sagte der Skorpion
und ertrank.''
Der kleine Prinz schwieg nach diesen
Worten für eine Weile, während der Skorpion ungeduldig
mit einem Hinterbein auf den Sand klopfte. Sein Stachel blitzte
kalt im Sonnenlicht.
"Sind die Menschen wirklich so
komisch?'' fragte der kleine Prinz schließlich. "Tun
sie Dinge wider besseres Wissen bis zu ihrem Untergang? Und
kann man da wirklich nichts machen?''
"Nein.'' sagte der Skorpion.
"Es ist das Grundprinzip des Lebens und auch der Liebe.
Du mußt selber lernen zu leben
und denjenigen den du liebst, so leben lassen wie er es für
richtig hält. Auch wenn du glaubst, daß diese Art
zu leben falsch ist, oder sie ihn selbst zu zerstören scheint.
Natürlich wirst du immer davon
ausgehen, dass es demjenigen, den du liebst in deiner Nähe
viel besser ginge. Wenn du aber genauer in dich hinein horchst,
wirst du feststellen, dass du eigentlich nur dich selber damit
meinst. Es geht dir selber besser, wenn derjenige den du liebst
in deiner Nähe ist und du hoffst darauf, dass es ihm ebenso
ergeht.
Aber das muß derjenige selbst
herausfinden und sehr oft dauert das eine ganze Weile. Leben
und Leben lassen, heißt die Devise.
Das ist es auch, was schlichtes Begehren
und Liebe voneinander unterscheidet. Liebe ist immer freiwillig,
wer nur begehrt, versucht die Liebe, oder den schwachen Abklatsch
dessen, was er für Liebe hält, mittels diverser Tricks
zu erzwingen.
Aber selbst da, wo noch keine wirkliche
Liebe ist, kann doch die Möglichkeit der Liebe bestehen,
und diese Möglichkeit, das Wissen darum, kann sehr lange
nachwirken. Oft viel, viel länger als man glaubt.
Wenn dein Goldfisch eines Tages zur
Einsicht gelangt, daß er doch lieber in deiner Nähe
leben würde, wird er von ganz allein zu dir zurück
finden.''
"Glaubst du das wirklich?'' fragte
der kleine Prinz. "Ist das Leben wirklich so komisch? Warum
genügt es nicht, wenn ich den Goldfisch aus ganzem Herzen
liebe?''
"Es ist so.'' beschloß
der Skorpion das Gespräch, drehte sich um, krabbelte flugs
zum Rand des Baches und hüpfte hinein.
Der kleine Prinz sprang geschwind
auf und griff nach dem Kescher um den Skorpion vorm Ertrinken
zu bewahren, doch kaum war er vom Wasser bedeckt, verwandelte
sich der Skorpion in den kleinen goldgelben Fisch und huschte
über die Kieselsteine hinweg, auf und davon, bis der kleine
Prinz ihm nicht mehr mit den Augen folgen konnte.
Der kleine Prinz stieg zurück
ans Ufer und legte sich ins Gras. Er sog den tiefen, süßen
Geruch des Klees ein und verschränkte die Arme hinter dem
Kopf. Dann schaute er den Wolken zu, die von den Winden getrieben
über den Himmel zogen und Haschmich spielten. "Das
ist fast so wie bei Menschen die sich lieben'', dachte der kleine
Prinz bei sich. Und so lächelte er entspannt und still
in den Sonnenschein und in sich selbst hinein, denn er fühlte,
daß sein Goldfisch wiederkehren würde.
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